Über die jährlich stattfindenden

Kongresse der säkularen Demokraten Irans

Die Emergenz des «Islamischen Fundamentalismus» im Nahen Osten und in Nordafrika kann als Folgeerscheinung der Islamischen Revolution in Iran (1979) betrachtet werden. Diese Revolution ging mit der Machtübernahme der Ayatollahs (des schiitischen Klerus) [1] und der Ablösung der säkularen Verfassung von 1905 [2] durch die Scharia [das islamische Recht] einher. Diese Veränderung hatte gravierende Konsequenzen: Es entstand ein auf Ideologie basierender Staat – diesmal in Form einer etablierten Religion.

Über beinahe vier Jahrzehnte erlebte die Welt, welche sich soeben der Staaten mit linksorientierten Systemen entledigt hatte, das gleiche Phänomen. Die halb-säkularen Regime des Nahen Ostens [und Nordafrikas] machten politischen Gebilden Platz, die eine Rückkehr zu dunklen Epochen darstellen: In diesen Ländern wurde der Humanismus zu einem bedeutungslosen Begriff. Ihre Gesellschaften drehten sich um Doktrinen verschiedener Gottesvorstellungen. Vertreten wurden diese durch ihre jeweiligen religiösen Anhänger und ihre Institutionen

Die Ursachen für den Untergang der säkularen Staaten sind vielfältig und komplex. Von den generellen Veränderungen in der internationalen Politik im 20. Jahrhundert abgesehen, kann gesagt werden, dass diese säkular-politischen Gebilde Amalgane aus Ideologien und diktatorischen Strukturen darstellten. Vom Nazitum in Deutschland über den Stalinismus in Russland und den Kemalismus in der Türkei bis hin zum Pahlavismus im modernen Staat Iran gingen der Modernisierungstrend und die Säkularisierung mit Gewaltanwendung und das Aufoktroyieren von Ideologien einher. Gegenreaktionen waren unvermeidbar. Revolutionäre Strömungen erwuchsen in diesen diktatorischen Systemen – die unglücklicherweise auch mit dem Säkularismus identifiziert wurden – dort, wo immanente Brüche sichtbar wurden.

Durch die Ausrufung des «Islamischen Staates» verstanden die Menschen in diesen Systemen, dass die Werte des Säkularismus durch die starren Strukturen von Diktatur und Ideologie verloren gegangen waren. Diese Erkenntnis belebte das Streben nach dem Säkularismus wieder, und dieses Mal eher beim Fussvolk denn bei den intellektuellen Eliten.

Glücklicherweise sind sich die Eliten heute im Klaren darüber, warum die Bemühungen in Bezug auf den «politischen Säkularismus» [3] keine Früchte trugen: Säkularismus geht nicht notwendigerweise mit Diktatur und Ideologie einher, er kann [muss aber nicht] beides hervorbringen. Die intellektuellen Eliten haben nun die Aufgabe, einen Weg zu finden, um die wahre Bedeutung des politischen Säkularismus herauszustellen. Sie müssen seine Potenziale für die Entwicklung eines politischen Systems aufzeigen, das seine Verdienste in den offenen und demokratischen Gesellschaften des modernen Westens bewiesen hat.

Die Aufgabe ist zweifach: zum einen soll die Bedeutung des politischen Säkularismus von der «Trennung von Staat und Kirche» erweitert werden, und zwar um die «Trennung von Staat und Ideologie» [bzw. sollten nicht nur Staat und Kirche voneinander getrennt sein, sondern es sollte nun auch jegliche Ideologie vom Staat ferngehalten werden]; zum anderen soll gleichzeitig der Säkularismus mit der universellen Menschenrechtserklärung verbunden werden, damit der säkulare Staat seinen Verpflichtungen gegenüber ihrer demokratischen Natur nachkommen kann. Das Ergebnis ist die Einführung des Begriffs bzw. des modernen Diskurses der «Säkular-Demokratie». Letztere zielt auf eine politische Formation ab, welche dem Einfluss der religiösen und nichtreligiösen Ideologien widersteht und gleichzeitig auf den Anforderungen der Menschenrechte basiert.

Das ist eine neue Perspektive für die Zukunft der Gesellschaften, deren Verfassungen und Institutionen auf der Scharia fundieren. Zurzeit scheint dies das einzige Heilmittel und die wahre «Alternative» zu sein, um die gegenwärtigen Staatsgebilde zu ersetzen, und Frieden und Fortschritt für die angeblich muslimischen Nationen des Nahen Osten und Nordafrikas hervorzubringen.

Es ist erwähnenswert, dass politischer Säkularismus nicht antireligiös ist. Er fungiert als Filter, um jegliche Gelegenheit, wo Religion oder Ideologie staatliche Macht beeinflussen könnte, zu unterbinden. Das Ziel ist, dass der staatliche Apparat, welcher das Potenzial zur Unterdrückung beinhaltet, nicht missbraucht wird, bzw. es soll verhindert werden, dass enge religiöse und ideologische Dogmen und Doktrinen pluralistischen Staatsgebilden moderner Gesellschaften aufgezwungen werden.

Eine Säkular-Demokratie bedarf Anhänger und organisierter Bestrebungen, um die politischen Strukturen ideologisch-fundierter Regimes zu ersetzen. Sie sollte sich zu einer organisierten Alternative entwickeln, welche in der Lage ist, Menschen zu inspirieren und ihre Bemühungen für eine bessere Gesellschaft und eine freiere Lebensführung zu lenken.

In der breiten iranischen Opposition des islamischen Regimes wurde diese Ansicht mit Stolz übernommen. Es wurden auch zahlreiche aktive Gruppierungen und Organisationen entwickelt, welche sich als sehr wirksam erwiesen haben: Sie haben den Begriff «Säkular-Demokratie» verbreitet bzw. die Säkular-Demokratie als hauptpolitischen Diskurs innerhalb der gegenwärtigen sozialen Schauplätze, also inner- und ausserhalb des Irans eingeführt.

Nun kann man durchaus von der Existenz einer säkular-demokratischen Bewegung der Iranerinnen und Iraner sprechen, die über Millionen von Anhängerinnen und Anhängern verfügt. Diese sind der gegenwärtigen chaotischen und anti-menschenrechtlichen Praktiken in ihrem Land überdrüssig.

Nichtsdestotrotz brauchen viele säkular-demokratische Organisationen ein unterstützendes Forum für Diskussionen und Gedankenaustausch. Dieses könnte, zur Bildung einer «säkular-demokratischen Alternative» führen. Dieses Bedürfnis hat 2013 zur Entstehung der «jährlich stattfindende Kongresse der säkularen Demokraten Irans» geführt.

 

Der Kongress hat bis jetzt viermal stattgefunden: Washington DC, USA (2013); Bochum, Deutschland (2014); Frankfurt, Deutschland (2015) und Hamburg, Deutschland (2016). Der Kongress 2017 findet in Köln, Deutschland, statt.

Das Thema des fünften Kongresses lautet: «Die Einheit in der Vielfalt». Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wollen den Versuch unternehmen, herauszufinden, welche Hindernisse für ihre Zusammenarbeit beim Aufbau einer umfassenden politischen Front überwunden werden müssen.

Der Kongress besteht insgesamt aus vier Sitzungen (zwei am Morgen und zwei am Nachmittag) und findet am 28. und 29. Oktober 2017 statt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen aus verschiedenen Ländern – auf eigene Kosten. Speisen und Getränke werden an beiden Tagen offeriert.

           

Der Kongress wurde von einem Exekutivkomitee organisiert, welches unter der folgenden E-Mail-Adresse zu erreichen ist: isd.congress5@gmail.com

                   

Anmerkungen des Übersetzers

1. «Ayat» bedeutet «Zeichen» und «Allah» «Gott». Unter «Ayatollah» ist somit wortwörtlich «Zeichen Gottes» bzw. sinngemäss «Kleriker» zu verstehen.

2. Diese säkulare Verfassung wurde am 6. August 1906 von Naseroddin Schah (1831-1906) unterzeichnet. Mit dem Jahr 1905, welches hier angegebenen wurde, ist wahrscheinlich das Zeitfenster gemeint, in dem diese Verfassung entstanden ist. 

3. Hier wurde ein Unterschied zwischen dem politischen und philosophischen Säkularismus gezogen. Während unter dem «politischen Säkularismus» die Trennung von Staat und Kirche zu verstehen ist, konnotiert der «philosophische Säkularismus» das Engagement für die Verweltlichung der Religion. Mit anderen Worten: Derjenige, der sich dem «philosophischen Säkularismus» verschreibt, erteilt der Metaphysik eine Absage und ist bestrebt, die Religion als menschengemacht zu erklären.

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